Lerntheorien: Wie lernen wir eigentlich?

Ab dem ersten Tag unseres Lebens beginnen wir zu lernen. Gerade in den ersten Jahren machen wir fast täglich Fortschritte und erweitern unser Können. Doch wie funktioniert das Lernen eigentlich? Es gibt eine Vielzahl an Lerntheorien, welche die Lernvorgänge beschreiben und erklären. Im Folgenden Artikel findet sich eine Übersicht und Zusammenfassung bekannter Lerntheorien.

Lerntheorien

Lerntheorien: Wie lernen wir?

Definition Lernen

Der Begriff Lernen hat indogermanische Wurzeln, deren Bedeutung “Furche, Spur oder Bahn” ist. Bereits die Wortherkunft deutet also darauf hin, dass Lernen etwas damit zutun hat “Spuren zu hinterlassen”.

Lernen beschreibt den bewussten oder unbewussten Vorgang der Aneignung oder Änderung von kognitiven Strukturen oder Verhaltensweisen. Das Lernen ist also ein Prozess der Verhalten, Denken und Fühlen formt und den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten beschreibt.

Welche Lerntheorien gibt es?

Es gibt eine Vielzahl an Modellen und Hypothesen, die versuchen den Prozess des Lernens zu beschreiben. Bei den meisten dieser lerntheoretischen Ansätze wird eine einzelne, besondere Form des Lernens beschrieben und erklärt. Im Folgenden geben wir eine Übersicht über die klassischen Lerntheorien.

Klassische Lerntheorien:

Die klassischen Lerntheorien lassen sich in zwei Hauptzweige unterteilen:

  • Bei den behavioristischen Lerntheorien steht das beobachtbare Verhalten im Vordergrund des Lernprozesses, wobei die mentalen Prozesse im Gehirn nicht von Interesse sind.
  • Dem gegenüber stehen die kognitivistischen Lerntheorien, bei welchen die Kognitionen und Emotionen mit in das Modell des Lernprozesses eingebunden werden.

Im nächsten Abschnitt werden die bekanntesten Lerntheorien des Behaviorismus und Kognitivismus beispielhaft erklärt.

ADHS-Test

Behavioristische Lerntheorien

Bei diesen lerntheoretischen Ansätzen steht der Mensch, als Ergebnis seiner Umwelt, im Fokus. Es wird zunächst das beobachtet, was das lernende Wesen aufnimmt (einen Reiz) und anschließend die Antwort auf den Reiz in Form von Verhalten. Was dazwischen passiert, also wie der Reiz im Gehirn bearbeitet wird, ist nicht von Bedeutung.

Klassische Konditionierung

Die klassische Konditionierung, die von dem russischen Physiologen Iwan Pawlow begründet wurde, wird auch als Reiz(Stimuli)-Reaktion(Response)-Lernen bezeichnet. Diese Lerntheorie besagt, dass zwei Reize aneinander gekoppelt werden können.

Das Experiment von Iwan Pawlow

Pawlow führte sein Experiment mit Hunden durch. Dabei ließ Pawlow Hunden Essen bringen (US: unconditiones stimulus – Unbedingter Reiz: löst ohne Konditionierung eine Reaktion aus), wodurch diese beim Anblick und Geruch des Essens Speichel produzierten. (UR: unconditioned response – Angeborene Reaktion: wird durch den US ausgelöst). Dieser Reiz ist von Natur aus mit dieser Reaktion verbunden.

Nun wurde das Erklingen eines Glöckchen vor der Essensausgabe hinzugefügt (NS: neutral Stimulus, Neutraler Reiz: zieht keine spezifische Reaktion mit sich). Das Erklingen des Glöckchens löste zu Beginn des Experiments keine Reaktion bei den Hunden aus, sie nahmen das Erklingen der Glocke jedoch wahr. Pawlow wiederholte nun den Ablauf einige Male, zuerst ließ er die Glocke erklingen, dann folgte die Essensausgabe. Nach einiger Zeit begannen die Hunde bereits beim Erklingen der Glocke Speichel zu produzieren. Sie hatten also gelernt, dass auf die Glocke das Essen folgte. Aus dem neutralen Reiz wurde demnach ein bedingter Reiz (CS: conditioned Stimulus: ehemals neutraler Reiz löst durch mehrmalige Koppelung an den US eine Reaktion aus) auf den eine bedingte Reaktion folgte (CR: conditioned response: erlernte Reaktion).

Klein Albert: Das Experiment von J.B Watson

Kurze Zeit nach dem Experiment von Pawlow wurde die klassische Konditionierung erstmals am Menschen untersucht. Das Experiment wurde mit einem 9 Monate alten Jungen namens Albert durchgeführt. Albert wurden mehrere Tiere präsentiert (eine weiße Ratte, ein Kaninchen, ein Affe…) und seine Reaktion beobachtet. Albert zeigte keine Angst und keine besondere Reaktion auf diese Reize (NS). Daraufhin wurde Albert die weiße Ratte in Verbindung mit einem lauten Knall (US) präsentiert, woraufhin Albert sich erschrak und anfing zu weinen (UR). Jedes Mal wenn Albert nach der Ratte griff wurde der laute Knall ausgelöst. Nach dieser Konditionierungsphase wurde Albert die Ratte wieder, diesmal ohne Knallen, präsentiert. Albert begann beim bloßen Anblick der Ratte zu weinen und versuchte sich von ihr zu entfernen. Der vorher neutrale Reiz wurde also zu einem konditionierten Angstreiz (NS-> CS) und löste Furcht (CR) bei Albert aus. Im Anschluss fürchtete sich Albert nicht nur vor der Ratte, sondern vor ähnlichen weißen pelzigen Gegenständen. Die Forscher glaubten, dass sie eine generalisierte Angstreaktion bei dem kleinen Albert konditioniert hatten.

Beispiel Klassischer Konditionierung im Alltag: Beim Anblick einer Zitrone, zieht sich einem der Mund zusammen. Obwohl man nur an etwas Saures denkt oder es sieht, entsteht das Gefühl, etwas Saures zu sich zu nehmen

 

Was kann die klassische Konditionierung nicht erklären? Es kann mithilfe der klassischen Konditionierung nicht die Entstehung von neuen Verhaltensweisen erklärt werden. Ebenso wenig lassen sich Verhaltensänderungen erklären, die unabhängig von vorangehenden Bedingungen des Reizes sind.

Operante Konditionierung

wird auch als Lernen durch Belohnung oder Bestrafung bezeichnet. Bei dieser Lerntheorie werden Reiz-Reaktions-Muster aus zunächst spontanem Verhalten gebildet. Die Häufigkeit des Verhaltens wird durch eine anschließende positive oder negative Konsequenz nachhaltig verändert. Die operante Konditionierung stellt im Vergleich zur klassischen Konditionierung einen selektiven Lernprozess dar. Hierbei können das Verhalten oder Handlungen auf Dauer geändert werden.

Das Experiment von Skinner

Frederik Skinner sperrte jeweils zwei Ratten in seine sogenannte “Skinner-Box”. In dieser Box befand sich ein Hebel und ein Fressnapf. Für beide Ratten hatte der Hebel eine unterschiedliche Funktion. Für die erste Ratte wurde durch das Betätigen des Hebels Futter in den Fressnapf gelassen und die zweite Ratte erhielt durch betätigen des Hebels einen Stromschlag. Die erste Ratte betätigte regelmäßig den Hebel, während die zweite Ratte den Hebel nach anfänglichem Ausprobieren nicht wieder antastete.

Die Ratten hatten also gelernt, dass nach dem Betätigen des Hebels eine Reaktion folgte und wussten dadurch, welche Funktion der Hebel hat. Bei einer positiven Reaktion (Futter) wurde das zunächst spontane Verhalten des Betätigen des Hebels verstärkt, wobei es bei einer negativen Reaktion (Stromschlag) verringert, beziehungsweise unterbunden wurde. Skinner bezeichnet diesen Lerneffekt auch als “Lernen am Erfolg” oder als “Lernen durch Verstärkung”. Der bei der zweiten Ratte ausgelöste Effekt wird auch als bedingte Hemmung bezeichnet.

Kognitivistische Lerntheorien

Zentraler Punkt des Kognitivismus ist die individuelle Informationsverarbeitung der lernenden Person. Dazu gehören sowohl die Verarbeitungs- und Denkprozesse. Die kognitivistischen Lerntheorien nehmen an, dass das Lernen von Prozessen beeinflusst wird, die zwischen dem Reiz und der Reaktion stattfinden. Im Gegensatz zum Behaviorismus sind die mentalen Prozesse und innerpsychischen Vorgänge also von zentraler Bedeutung. Dem Lernenden kommt außerdem eine aktivere Rolle zu. Der Prozess der Imitation hängt stark mit den Spiegelneuronen zusammen.

Die Sozial-kognitive Lerntheorie (Modelllernen)

Die auch Lernen am Modell genannte Lerntheorie von Albert Bandura beschreibt Lernvorgänge, die auf der Verhaltensbeobachtung von Vorbildern (Modellen) beruhen. Bandura spezifiziert in seiner Theorie des Modell-Lernens zwei verschiedene Phasen und vier Prozesse:

1. Aneignungsphase (Kompetenz, Akquisition): 

  • Aufmerksamkeitsprozesse: Die lernende Person richtet ihre Aufmerksamkeit auf die für sie wichtigen Bestandteile des Verhaltens des Modells. Die Aufmerksamkeitsprozesse sind einerseits abhängig von Eigenschaften des Modells (ist es sympathisch? ist die Handlung deutlich? ist die Handlung erfolgreich?) und zudem von Eigenschaften des Beobachters (seinen Fertigkeiten, seinen Erwartungen und seinem Erregungsniveau)
  • Gedächtnisprozesse, Behalten: Die Information wird dabei vom Beobachter sowohl sensorisch als auch symbolisch kodiert. Um diese Information zu behalten wird sie entweder kognitiv oder aktional wiederholt. Die symbolische als auch die motorische Nachahmung des Gelernten ist förderlich für das Erinnern.

2. Ausführungsphase (Performanz)

  • motorische Reproduktionsprozesse: Die lernende Person erinnert sich an das beobachtete Verhalten und ahmt dabei ihr vorteilhaft erscheinende Verhaltensweisen nach. Wie gut die Nachahmung gelingt hängt von ihren Fähigkeiten ab. Die Einübung des Modellverhaltens erfolgt dabei auch durch Selbstbeobachtung und es erfolgen Korrekturen, die auch von Feedback aus der Umgebung abhängen.
  • Verstärkungs- und Motivationsprozesse: Ob ein Verhalten überhaupt beachtet und imitiert wird, hängt von der Motivation ab. Diese spielt sowohl in der Aneignungs- als auch Ausführungsphase eine Rolle. Nur wenn eine Person davon ausgeht, dass ihr ein Verhalten einen Vorteil bringt, wird sie das entsprechende Verhalten nachahmen. Die Motivation hängt also eng mit der Verstärkung des Verhaltens zusammen. Es lassen sich nach Bandura vier verschiedene Arten der Verstärkung unterscheiden:
    • Externe Verstärkung: Das Verhalten wird belohnt oder dadurch wird einer Bestrafung entgangen.
    • Stellvertretende Verstärkung: Das Modell wurde für sein Verhalten belohnt (Hatte Erfolg). Die beobachtende Person nimmt dies wahr.
    • Direkte Selbstverstärkung: Die beobachtende Person belohnt sich selbst.
    • Stellvertretende Selbstverstärkung: Das Modell belohnt sich selbst für sein Verhalten. Die beobachtende Person nimmt dies wahr.

Im Folgenden Video ist das bekannte Rocky-Experiment von Bandura mit einer Puppe, exemplarisch für das Erlernen von aggressivem Verhalten am Modell, zu sehen.

Lerntheorie: die kognitive Entwicklung nach Piaget

Die Grundlage Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung ist die Annahme zweier angeborener Tendenzen. Piaget geht davon aus, dass der Mensch sich an seine Umgebung anpasst (Adaptation). Um diese Anpassung zu erreichen kann entweder die Umwelt an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden (Assimilation) oder das eigene Verhalten an die Umwelt (Akkomodation). Die zweite Tendenz ist die zur Organisation, also die Einordnung des eigenen Verhaltens in kohärente Systeme. Der Mensch kann also zwei Verhaltensweisen integrieren. Ein Baby kann zunächst ein Objekt angucken oder nach ihm greifen, später kann es diese beiden Prozesse in einen integrieren und beides gleichzeitig ausführen. Menschen streben laut Piaget durch Adaptation und Assimilation ein Gleichgewicht an. Durch die grundlegenden Tendenzen schreitet nach Piagets Theorie die kindliche Entwicklung in Stufen voran. Die Theorie von Piaget kann hier im Detail nachgelesen werden.

Weitere Lerntheorien:

Neben den Lerntheorien des Behaviorismus und des Kognitivismus gibt es weitere lerntheoretische Ansätze, die sich vor allem im pädagogischen Rahmen wiederfinden. Von diesen sind vor allem die beiden folgenden Lerntheorien hervorzuheben:

Instruktionistische Lerntheorie:

Beim Instruktionalismus wird die lernende Person dazu aufgefordert etwas zu tun. Der Person wird Wissen vermittelt, was passiv aufgenommen wird. Das Wissen wird entsprechend durch Üben vertieft. Dabei wird häufig auf Methoden wie “Vormachen, Erklären, Nachmachen, Üben” zurückgegriffen. Die instruktionistische Lerntheorie folgt den Modellen des Behaviorismus. Auf einen bestimmten Reiz folgt eine bestimmte Reaktion. Die Vorteile an dieser Art des Lernens ist die Einfachheit des Prozesses. Es muss kaum Eigenverantwortung getragen werden, der Lernprozess ist vorgegeben und gut kontrollierbar, wovon gerade im akademischen Bereich sehr profitiert wird. Nachteilig an diesem Lernmodell ist, dass individuelle Erfahrungen, Stärken und Vorwissen kaum berücksichtigt werden. Das erlernte Wissen ist also sehr wenig individuell, wodurch es schlechter erinnert werden kann.

Legasthenie-Test

Konstruktivistische Lerntheorie:

Beim Konstruktivismus wird das menschliche Lernen als etwas gesehen, das bestimmten Konstruktionsprozessen unterworfen ist. Dabei beeinflussen soziale, neuronale, kognitive und Wahrnehmungs- Prozesse die Konstruktionsprozesse. Die lernende Person erschafft sich von der Welt eine individuelle Repräsentation. Der Lernprozess hängt also, im Gegensatz zum Lernmodell des Instruktionalismus, stark von der lernenden Person und ihren bisherigen Erfahrungen ab. Im Sinne des Konstruktivismus ist Lernen dann am effektivsten, wenn die Lernenden den Lernprozess selbst steuern können.

Lerntheorien

Konstruktivistische Lerntheorien: Die Lehrkraft berät den Lernprozess

Lerntheorien in der Pädagogik: Anwendung im Unterricht

Das Schulsystem wurde lange Zeit von instruktionistischen Verfahren dominiert. Doch seit Ende des 20. Jahrhunderts finden in Deutschland pädagogische Umstrukturierungen statt, bei welchen konstruktivistische Verfahren in allen Schulfächern und in jedem Schultyp implementiert werden. Der Konstruktivismus plädiert vor allem für Unterrichtsformen in denen die Lehrkraft nicht als bloße Wissensvermittlung dient, sondern vielmehr den Lernprozess berät. Dabei verändert sich die Aufgabe der Lehrkraft dahingehend, dass sich diese, im Vergleich zum Frontalunterricht, eher im Hintergrund hält. Die Lehrkraft soll Lehrangebote und Wissensquellen schaffen, beziehungsweise bereitstellen und den Lernprozess beobachten und unterstützen. Die Schüler lernen durch diese offenen Unterrichtssituationen das selbst konstruierte Wissen zu festigen und vor allem auch zu abstrahieren.

Lernen durch Lehren

Eine sehr bekannte konstruktivistisch Methode, die sich in Deutschland an großer Beliebtheit erfreut und daher redlich Anwendung findet, ist das Lernen durch Lehren. Bei dieser handlungsorientierten Unterrichtsmethode lernen die Schüler indem sie sich den Stoff gegenseitig vermitteln. Hierbei wird der Unterricht so strukturiert, dass sich das Wissen kollektiv konstruiert. Neben dem reinen Wissenserwerb werden durch diese Lernform auch die Empathie und das Miteinander gestärkt.

Umgang mit individuellen Stärken und Schwächen oder Lernschwierigkeiten im Unterricht

Obwohl konstruktivistische Lernverfahren das Lernen im Allgemeinen erleichtern, gibt es verschiedene Lernbehinderungen, durch welche die akademische Leistung einzelner Schüler beeinträchtigt werden kann. Dabei können beispielsweise gerade bei Kindern mit Legasthenie oder Dyskalkulie große Schwierigkeiten auftreten, wenn diese nicht individuell gefördert werden. CogniFit bietet spezielle kognitive Bewertungs- und Stimulationsprogramme an, von denen diese Kinder profitieren können. CogniFit bietet außerdem die Möglichkeit für Schulen und Lehrkräfte die kognitiven Fähigkeiten ihrer Schulklassen zu bewerten und speziell zu trainieren. Als Lehrkraft die Stärken und Schwächen der eigenen Schüler einschätzen zu können, kann helfen auf Grundlage des Konstruktivismus individuelle Lernerfahrungen für die Schüler zu schaffen.

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