Born this way: Geschlechtsidentität und der Versuch der sexuellen Umerziehung

Das Lied „Born this way“ galt als Liebeserklärung von Lady Gaga an ihre LGBT-Gemeinde. Der Appell, sich selbst so zu lieben, wie man geboren wurde, sollte allen gelten – unabhängig von sexueller Orientierung, biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität. Dieser Artikel bietet eine biologische Einführung zur Entstehung von Geschlechtsidentität (gender identity) und Sexualität und diskutiert wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Implikationen am Beispiel des John/ Joan bzw. Bruce/ Brenda Falls.

My mama told me when I was young 

We are all born superstars 

She rolled my hair and put my lipstick on

In the glass of her boudoir

(Lady Gaga)

Die Geschlechtsidentität ist nichts, was man/frau einfach mal ablegen kann.
Die Geschlechtsidentität ist nichts, was man/frau einfach mal ablegen kann.

Begriffsdefinitionen: Biologisches Geschlecht, Gender und Geschlechtsidentität

Welches biologische Geschlecht (engl. biological sex) eine Person hat, ist auf die Art der Keimzellen zurückzuführen, die produziert werden. Das biologische Geschlecht ist somit (biologisch) determiniert und ist von dem Begriff Gender abzugrenzen. Mit Gender ist das erlebte bzw. soziale Geschlecht gemeint. Dieses ist konstruiert, das bedeutet es ist erlernt und variabel.

Vor allem der Sexualforscher und Psychologe Dr. John Money prägte den Begriff Gender als soziales Geschlecht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Unter den Begriff fallen auch die Bezeichnungen gender role und gender identity, letzteres ist die Geschlechtsidentität. Während gender role alle Verhaltensweisen meint, die kulturbedingt als typisch und erwartet für das weibliche bzw. männliche Geschlecht gelten, wird die Geschlechtsidentität eines Individuums, beruhend auf der eigenen Empfindung, als gender identity bezeichnet. Dabei ist nicht nur die persönliche Identifikation mit dem männlichen bzw. dem weiblichen Geschlecht möglich, sondern auch eine Kombination aus beiden bzw. eine Identität, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen ist.

Geschlechtsidentität: Die Gender Gate Theorie von Dr. J. Money

Dr. John Money gründete im Laufe seiner Karriere die John Hopkins Gender Identity Clinic und entwickelte die gender gate theory – eine Theorie, die besagt, dass die Geschlechtszuweisung bis zum 2. Lebensjahr offen und unter anderem durch operative Eingriffe sowie durch die Erziehung bestimmbar ist.

Als die Kanadierin Janet Reimer, Mutter der eineiigen Zwillinge Bruce und Brian, im Jahr 1966 eine Fernsehsendung sah, in der Dr. Money diese Theorie vorstellte, fühlte sie sich seit langem wieder hoffnungsvoll. Bei einem operativen Eingriff wurde der Penis von Bruce verbrannt. Bruce, zu dem Zeitpunkt des Unfalls ein sieben Monate alter Säugling, würde den Vorfall nicht erinnern. Doch die Zweifel, ob ihr Sohn als „Mann ohne Penis“ zurechtkommen und glücklich werden würde, blieben der Mutter. So nahm sie Kontakt zu dem Spezialisten Dr. Money auf. Dieser sah in dem Fall seine große Chance, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf seine Forschung zu lenken und um zu beweisen, dass das menschliche Geschlecht konstruiert bzw. arbiträr ist. Kurzum lud er die Familie in seine Klinik in Balimore ein.

Der John/ Joan bzw. Bruce/ Brenda Fall

Dr. Money konnte die Eltern von Bruce davon überzeugen, dass es im Sinne des Jungen wäre, ihn als Mädchen großzuziehen. Mit 18 Monaten wurde Bruce einer geschlechtsangleichenden Operation, eine operative Geschlechtsumwandlung der primären Geschlechtsmerkmale, unterzogen und fortan Brenda genannt. Weiterhin mussten die Eltern versichern, dass sie selbst nie an Money’s Methode zweifeln bzw. die Erziehung ändern und den Zwillingen die Wahrheit sagen würden. Von diesem Zeitpunkt an, kleideten die Eltern Brenda in mädchenhafter Weise und gaben ihm/ ihr Puppen und andere Spielzeuge, die für Mädchen dieses Alters üblich waren. Mit Einsetzen der Pubertät wurden Brenda weibliche Hormone verabreicht. Weiterhin mussten die Zwillinge jährliche Gespräche mit Dr. Money wahrnehmen. Zwillings-Studien stellen in der Entwicklungsforschung eine große Besonderheit dar, da entwicklungs- bzw. erziehungsbedingte Unterschiede auf Grundlage identischer Gene untersucht werden können. So kann der Einfluss biologischer bzw. umweltbezogener Unterschiede auf die entwicklungsbedingte Veränderung kontrolliert, also herausgerechnet, werden.

Bereits nach kurzer Zeit zeigten sich erste Anzeichen, die darauf hinwiesen, dass das Experiment zu scheitern schien. Brenda bevorzugte die Spielsachen von Brian und wurde von anderen Kindern gemobbt. Selbst im tiefsten Winter in Kanada musste Brenda Kleider tragen. Dr. Money, der bereits erste erfolgsversprechende Artikel zu dem Fall und seiner nurture-not-nature Theorie (Pflege/ Erziehung nicht Natur Theorie) veröffentlicht hatte, sah sich gezwungen immer extremere Methoden anzuwenden. So mussten die Zwillinge bei den Terminen mit Dr. Money gemeinsam sexuelle Positionen nachstellen, bei denen Brenda die Rolle der untergeordneten, passiven Frau einnehmen sollte. Mindestens einmal wurden die Zwillinge von dem Forscher gezwungen ihre Kleidung abzulegen, um eine „genitale Inspektion“ durchzuführen.

Unglücklich und geplagt von großen sozialen Problemen verkündete Brenda mit 14 Jahren, dass er/ sie sich das Leben nehmen würde, sofern er/ sie noch einmal zu einem Termin mit Dr. Money gezwungen werde. Die Eltern beschlossen die Zwillinge aufzuklären. Während Brenda, die/ der sich von diesem Zeitpunkt an David nannte, eine innerliche Erleichterung verspürte, reagierte Brian verstört auf die Neuigkeiten bzgl. seines Zwillingsbruders.

Der Fall ging unter dem Pseudonym John/Joan in die Geschichte der Geschlechter-Forschung ein.

Geschlechtsidentität: Was ist dran am konstruierten Geschlecht?

Um die Theorie mit ihren dramatischen Folgen aus den 1960er etwas genauer zu beleuchten, soll zunächst Bezug auf die embryonale Entwicklung genommen werden:

Mit der Verschmelzung der Eizelle der Frau und der Samenzelle des Mannes entsteht eine neue Zelle mit 23 Chromosomenpaaren. Der neue Chromosomensatz besteht damit zu 50% aus der mütterlichen und zu 50% aus der väterlichen DNA. Eines dieser Chromosomenpaare enthält bereits die Geschlechtsinformationen des Embyros – die sogenannten Geschlechtschromosomen. Zwei X-Chromosomen liefern das Entwicklungsprogramm für einen weiblichen Organismus. Wohin gegen ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom den männlichen Organismus entstehen lassen.

In den ersten sechs Schwangerschaftswochen läuft die Embryonalentwicklung geschlechtsunabhängig ab und die Anatomie unterscheidet sich trotz unterschiedlicher Geschlechtschromosomen nicht. Erst ab der 10. Woche beginnt eine differenzierte Ausbildung der Gonoden (Keimzellen) und der sogenannten Wolff- und Müller-Gängen. Das SRY-Gen (sexdeterminierende Region von Y) befindet sich ausschließlich auf dem Y-Gen und ist für die Entwicklung der Hoden zuständig. Die angelegten Hoden produzieren wiederum das bekannte Sexualhormon Testosteron. Dieses Hormon ist unter anderem für die Weiterentwicklung der Wolff-Gänge zuständig, woraus sich letztendlich die männlichen Genitalien bilden. Bei dem weiblichen Organismus degenerieren hingegen die Wolff-Gänge, stattdessen entwickeln sich die Müller-Gänge zu Vagina und Uterus. Die Hoden und Eierstöcke stellen wichtige Drüsen für die Hormonproduktion dar, die wiederum u.a. während der Geschlechtsreife (Pubertät) eine wichtige Rolle spielen.

Der Einfluss der Sexualhormone ist aber nicht auf die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale beschränkt, es gibt auch Belege dafür, dass sowohl bestimmte Gehirnstrukturen als auch kognitive Leistungen geschlechtsbedingt sind.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es anatomische und hormonelle Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern gibt, die sich bereits pränatal entwickelt haben und die über das Vorhandensein primärer Geschlechtsmerkmale hinausgehen. Eine postnatale Beeinflussung von außen, wie eine operative geschlechtliche Umwandlung oder die Gabe von Sexualhormonen, kann daher nur bedingt wirksam werden. Was also geschah mit David?

Das Leben nach dem Experiment

David unterzog sich mehreren operativen und hormonellen Behandlungen, um wieder als Mann leben zu können. 1990 heiratete er seine Frau Jane Fontaine und adoptierte ihre drei Kinder. David’s Bruder Brian litt stark unter den Folgen des Experiments und entwickelte eine Schizophrenie. Im Jahr 2002 verstarb er an einer Überdosis Antidepressiva.

David konnte den Tod seines Zwillingsbruders nur schwer verkraften. Als ihm 2004 seine Frau mit der Scheidung drohte und er seinen Job verlor, nahm sich David Reimer das Leben. Er wurde 38 Jahre alt.

Janet Reimer ließ später über die New York Times veröffentlichen, dass sie glaube, dass ihr Sohn heute noch Leben würde, wäre er nicht Opfer des „katastrophalen Experiments“ von Dr. John Money geworden.

Geschlechtsidentität (gender identity) und sexuelle Orientierung: Ein Ausblick

Es gibt einige Befunde, die darauf hinweisen, dass die sexuelle Identität und Orientierung bereits vor der Geburt feststeht. So ist es nicht nur unmöglich einen Jungen als Mädchen zu erziehen, sondern auch sexuelle Präferenzen „umzuerziehen“ oder zu therapieren. Studien zeigen z.B. dass gewisse Hirnareale (deren Entwicklung bereits im Mutterleib abgeschlossen wurde) von homosexuellen Männern denen von heterosexuellen Frau ähneln.

Die Erkenntnisse zu gender identity und sexuellen Orientierung sind noch jung und bei weitem nicht abgeschlossen.

Bis 1992 galt beispielsweise auch die Homosexualität laut WHO noch als Krankheit, die eine psychotherapeutische Behandlung bedarf. Und noch heute haben lesbische und schwule Jugendliche in Deutschland eine vier- bis siebenmal höhere Suizidrate als Jugendliche allgemein.

Bei dem Thema Transgender ist das ähnlich. Glücklicherweise werden auch hier Fortschritte gemacht. So wurde beispielsweise die Geschlechtsidentitätsstörung aus dem amerikanischen Diagnosemanual DSM entfernt. Eine fehlende Identifikation mit dem biologischen Geschlecht ist nicht einer psychischen Störung gleichzusetzen. Der Begriff kann leicht missverstanden werden. Eine Störung meint eine Normabweichung psychischer Funktionen, die das Denken, Wahrnehmen, Fühlen und/ oder Verhalten der betroffenen Person und damit deren Alltagsbewältigung negativ beeinflussen. Trans*- Menschen haben also keine Störung der Geschlechtsidentität. Vielmehr kann das Leiden an einer Geschlechtsdysphorie diagnostiziert und behandelt werden. Diese beschreibt den Leidenszustand einer Person, wenn diese bemerkt, dass ihr biologisches Geschlecht im Konflikt mit der eigenen geschlechtlichen Identität steht.

Abgesehen davon kommt es, genau wie bei Homosexuellen, bei Trans*-Menschen ebenfalls häufig zu psychischen Belastungen aufgrund von gesellschaftlichen Hürden und Reaktionen des sozialen Umfelds. In diesen Fällen ist es selbstverständlich ebenfalls wichtig, dass Betroffene psychologische Hilfe erhalten.

Ein großer Faktor ist und bleibt dabei die gesellschaftliche Aufklärung und Akzeptanz sowohl zur Geschlechtsidentität als auch der sexuellen Identität und sexuellen Orientierung.

Es gibt aber auch einige Positiv-Beispiele zur Entwicklung des gesellschaftlichen Umgangs mit Geschlechtsidentifikation. So bietet Facebook mittlerweile über 50 Auswahlmöglichkeiten zur Angabe des eigenen Geschlechts. Weiterhin erkannten die australischen Behörden die erste Person als androgyn (weiblich UND männlich) an und stellten dementsprechend den Pass mit dieser Geschlechtsbezeichnung aus.

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