High Functioning Depression – Die erfolgreichen Depressiven?
Depressiv und trotzdem erfolgreich? Das Leben mit hochfunktionaler Depression wird nicht nur durch die Depression selbst, sondern auch durch das fehlende Verständnis der Mitmenschen für die eigene Situation erschwert. Denn wer unter High Functioning Depression leidet, zeigt nicht unbedingt die klassischen Symptome einer Depression. Warum Betroffene trotzdem so stark leiden und wie ihnen geholfen werden kann, wird in diesem Artikel erklärt.
Die WHO zählt weltweit schätzungsweise 320 Millionen Menschen, die mit Depressionen kämpfen – eine Zahl, die beständig wächst und in den letzten 10 Jahren drastisch zugenommen hat. Nicht ohne Grund bezeichnet man die Depression als eine Volkskrankheit – allein in Deutschland leiden etwa 5% der Bevölkerung an Depressionen, was diese zu einer der größten Gruppen lebensbeeinträchtigender Krankheiten macht.
‘High Functioning‘ Depression – ein neuer Trend?
In einer Leistungsgesellschaft wie unserer, in der der Leistungsdruck in den letzten Jahren stark angestiegen ist und sich die hohen Erwartungen schon im Jugendalter aufhäufen, scheint es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen unter diesem Druck nachgeben und die Freude am Alltag nach und nach verlieren. Ein Großteil der Fehlzeiten auf der Arbeit sind heutzutage psychisch mitbedingt; schätzungsweise jeder 5. Arbeitnehmer erlebt Burnout-ähnliche Phasen.
Besonders hochfunktional Depressive, also Menschen die an High Functioning Depression leiden, verspüren diesen Leistungsdruck. Sie schaffen es jedoch vorerst, dem Druck etwas länger Stand zu halten und den Alltag weiterhin zu meistern, auch wenn es ihnen dabei wahrlich nicht gut geht.
Was ist die hochfunktionale Depression/ High Functioning Depression?
Symptome der High Functioning Depression
Hört man das Wort Depression, so denkt man sicherlich sofort an Therapie und Tabletten, an Lustlosigkeit und Pessimismus, an innere Leere und Überforderung. Man hat das typische Bild von einer Person vor Augen, der das Leben zu viel zu sein scheint, die sich zu nichts aufraffen und keinerlei Motivation finden kann. Viele Menschen, die unter Depressionen leiden, geben sich selbst und ihren Alltag auf – sie vernachlässigen Familie und Freunde, aber vor allem auch sich selbst, ihre Körperpflege und Gesundheit, und scheinen in ihrer inneren Leere völlig zu versinken.
Doch nicht alle Menschen, die unter Depressionen leiden, zeigen ihre Symptome so offen.
Personen mit High Functioning Depression scheinen aus diesem klassischen Schema der Depression gänzlich herauszufallen, weshalb ihr Zustand oft weder ihnen selbst noch den Menschen in ihrem Umfeld bewusst ist. Für jemanden, der unter hochfunktionaler Depression leidet, sind es also oftmals nicht nur die Symptome der Depression selbst, die ihnen den Alltag erschweren, sondern auch das fehlende Verständnis ihrer Mitmenschen für ihre Situation.
Denn High Functioning Depression heißt morgens früh aufstehen, die Kinder zur Schule fahren und danach gleich weiter zur Arbeit; es heißt Beförderungen und Erfolg, harte Arbeit, Fleiß, Pünktlichkeit, ein scheinbar wunderbares Leben. Doch auch wenn jemand ein produktives Leben führt, muss es nicht heißen, dass es auch ein glückliches Leben ist.
Viele hochfunktional Depressive verstecken ihre Depression hinter der Fassade eines augenscheinlich perfekten Lebens und wollen weder vor sich selbst noch vor anderen zugeben, dass jeder ihrer Schritte für die Betroffenen eine Überwindung bedeutet, die fast unmöglich zu bewältigen scheint. Nur weil jemand es schafft, morgens aufzustehen und den Tag zu meistern, bedeutet dies nicht automatisch, dass ihnen der Alltag leicht fällt. Im Gegenteil, denn Meister sind High Functioning Depressive wahrlich darin, ihre Emotionen zu überspielen und sich ihre Depression nicht anmerken zu lassen.
Welche Menschen leiden an High Functioning Depression?
Betroffen sind vermehrt Menschen, die sehr hohe Erwartungen an sich selbst und ihr Leben haben; die ein bestimmtes berufliches oder persönliches Ideal verfolgen und sich dadurch unter Druck setzen, weil dieses Ideal nicht immer oder nur schwer erreichbar ist. Als Perfektionisten, die tagtäglich vor einem vollen Terminplan stehen und diesen möglichst ohne Fehler und mit voller Energie meistern wollen, sind hochfunktional Depressive ihre eigenen größten Kritiker; sie verlieren oft ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen, sodass Spaß und Entspannung der Pflicht weichen müssen.
Betroffene wollen meist nicht zugeben, dass sie Hilfe brauchen – warum auch? Der Job läuft erfolgreich, die Kinder sind zufrieden, die Ehe funktioniert – und dieses bedrückende Gefühl der Leere und Überforderung, welches diese Menschen tagtäglich überkommt, wird bewusst ignoriert. Schlaflosigkeit, ein niedriges Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit, Angst davor, Zeit zu verschwenden und Fehler zu begehen sowie starke Selbstkritik sind Symptome, die Betroffene der High Functioning Depression mit ihren letzten Kräften noch überspielen können – doch dies geht nicht ewig.
Diagnose der High Functioning Depression
Eine der größten Herausforderungen von High Functioning Depression ist es demnach, sie überhaupt zu entdecken. Viele Betroffene merken selbst nicht, dass sie unter einer Depression leiden, da sie nicht die klassischen Symptome zeigen. Aufgrund ihrer hohen Erwartungen an sich selbst wollen sie oft nicht zugeben, dass sie Hilfe brauchen.
Anzeichen einer Depression, vor allem ein niedriges Selbstwertgefühl, Hoffnungslosigkeit und Motivationsverlust, sind bei hochfunktionaler Depression subtil und versteckt. Sie kommen nur in wenigen Situationen zum Vorschein – daher ist es besonders wichtig, die Symptome in diesen wenigen Situationen zu erkennen.
Im Gegensatz zu einer klassischen Depression (Major Depression) wird die High Functioning Depression eher als eine leichte Form der Depression klassifiziert, bei der Betroffene noch in der Lage sind, ihren Aufgaben – sowohl beruflich als auch privat – nachzukommen. Und das, auch wenn es ihnen schwer fällt und mit einer unproportionalen Überwindung einhergeht. Doch auch bereits eine leichte Depression beeinträchtigt das alltägliche Leben sehr und sollte ernst genommen werden. Unterdrückten Gefühle und Probleme können sich sonst mit der Zeit verschlimmern und irgendwann nicht mehr alleine bewältigt werden.
Subtile Veränderungen wie erhöhter Alkoholkonsum, veränderte Schlaf – und Essenszyklen, Gereiztheit oder ein langsamer Rückzug von sozialen Aktivitäten und Hobbies können Anzeichen dafür sein, dass es den Betroffenen zu viel wird und die Belastungen, die sie ertragen, bald nicht mehr alleine zu bewältigen ist.
Sollten Sie jemanden kennen, auf den diese Beschreibung zutrifft, sprechen Sie diese Person darauf an – denn viele Betroffene der High Functioning Depression sind sich kaum bewusst, dass sie Hilfe brauchen. Versuchen Sie, Verständnis für die betroffene Person zu zeigen, und machen Sie ihr deutlich, dass sie sich nicht für die eigene mentale Verfassung schämen muss.
Therapie der High Functioning Depression
Ein Beratungsgespräch mit einem Therapeuten kann eine gute Basis dafür sein, die hochfunktionale Depression sicher zu diagnostizieren und eine weitere Behandlung zu planen. Eine Umstrukturierung des Alltags, das Erlernen von verschiedenen Bewältigungstechniken oder aber auch einfach der Austausch mit einer Gruppe von Personen, denen es ähnlich geht, können dabei helfen, das Selbstvertrauen der Depressiven zu stärken und ihnen ihre Energie zurückzugeben.
Mit der richtigen Therapie und der Hilfe ihrer Mitmenschen kann man die Betroffenen dabei unterstützen, das Leben wieder mit größerer Kraft und Lebensfreude in Angriff zu nehmen und den Alltag nicht mehr als Bürde, sondern als Freude zu erleben.
Ich bin Psychologiestudentin im 4. Semester und besonders interessiert an klinischen und neurologischen Themen. Ich lerne durch mein Studium viel darüber, wie wir Menschen eigentlich funktionieren, und möchte dieses Wissen mit den Lesern teilen.