Bewusstseinsstörungen als Folge von Hirnschäden
Ist Dir eigentlich bewusst, was Du gerade tust? Wenn Du diese Frage mit „Ja, ich lese gerade einen Artikel über Bewusstseinsstörungen.“ beantwortet hast, dann stehen die Chancen, dass Du gerade bei Bewusstsein bist, sehr gut. Aber ist jemand, der diese Frage nicht beantworten kann, automatisch bewusstlos? Und wenn nicht, in welchem Zustand befindet er sich dann? Die Begriffe Koma, Wachkoma, minimaler Bewusstseinszustand und Locked-In Syndrom sind den meisten geläufig. Aber wo genau liegen die Unterschiede und woher weiß man, dass ein Mensch tatsächlich im Koma liegt und seine Umgebung nicht wahrnehmen kann? Dieser Artikel beschäftigt sich mit Bewusstseinsstörungen als Folge von Hirnschäden und beschreibt die verschiedenen Zustandsformen des Bewusstseins und wie man diese erkennt.
Bewusstseinsstörungen: Was ist Bewusstsein?
Bewusstsein ist die subjektive Wahrnehmung des Selbst und der Umwelt. Einige Beispiele sind, eigene Gedanken oder auch sein eigenes Magenknurren zu erkennen sowie in einem lauten Café die Aufmerksamkeit auf das Gesagte des Gegenübers richten zu können. Im Englischen lassen sich die Begriffe awareness, attention und consciousness unterscheiden. Awareness bezieht sich dabei auf all die Gefühle, Wahrnehmungen, Gedanken und Motive, die ins Bewusstsein treten können, sofern die Aufmerksamkeit (attention) auf sie gerichtet wird. Attention ist demnach der Prozess der bewussten Fokussierung. Und consciousness (Bewusstsein) bezeichnet schließlich, dass etwas, zum Beispiel ein Geräusch, nicht nur wahrgenommen wird, sondern dass es auch in das Zentrum der Aufmerksamkeit gelangt. Bewusstsein setzt demnach awareness voraus. Ein weiteres Zeichen von Bewusstsein ist die Erregung. Damit ist die Aktivierung des zentralen Nervensystems gemeint. Hierzu gehört neben der Aufmerksamkeit auch die Wachheit und Reaktionsbereitschaft.
Bewusstseinsstörungen: Wie kommt es zu Hirnschäden?
Neurologisch betrachtet, lässt sich das Bewusstsein nicht im Sinne eines bestimmten Abschnittes im Gehirn lokalisieren, vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Areale. Hirnschäden, auch Hirnläsionen genannt, können demnach ganz unterschiedliche Folgen für das Bewusstsein haben, je nachdem welche Bereiche betroffen sind. Mögliche Ursache für solche Läsionen sind unter anderem Schlaganfälle, Verletzungen mit Schädel-Hirn-Trauma als Folge oder neurologische Erkrankungen. Schwere Fälle führen häufig zu einem komatösen Zustand zwischen zwei und vier Wochen. Das bedeutet, dass der Koma-Patient keine Erregung und keine awareness zeigt. Ein Zeichen für Erregung wäre zum Beispiel das Gesicht aufgrund eines Schmerzreizes zu verziehen.
Welche Arten von Bewusstseinszuständen gibt es und wie unterscheiden sie sich?
Je nach Art und Schwere der Läsion kann der Patient aus dem Koma erwachen oder in verschiedene Bewusstseinszustände verfallen. Hierbei werden das Locked-In Syndrom, der minimale Bewusstseinszustand, der vegetative Zustand (Wachkoma), das chronische Koma und der Hirntod unterschieden. Genau genommen, handelt es sich bei dem chronischen Koma und dem Hirntod nicht mehr um Bewusstseinszustände, da hier keinerlei oder nur noch minimale Gehirnaktivität vorliegt. Das bedeutet, dass sowohl die awareness als auch die Erregung nicht vorhanden beziehungsweise nicht messbar sind.
Ein Patient im vegetativen Zustand kann hingegen auf einfache Umweltreize reagieren, zeigt aber keine awareness und damit kein Bewusstsein. Beim minimalen Bewusstseinszustand liegt neben der Reaktionsfähigkeit auf reflexartige Reize noch eine leichte awareness vor. Der Patient ist minimal bewusst und kann zum Beispiel minimale, gezielte Bewegungen ausführen.
Bei dem Locked-In Syndrom ist sowohl die Erregung als auch die awareness vorhanden. Der Patient ist bei Bewusstsein aber, abgesehen von der Augenbewegung, bewegungsunfähig. Zusammengefasst lassen sich die Bewusstseinsstörungen also am Grad der Erregbarkeit und der awareness messen.
Bewusstseinsstörungen: Wie kann der Bewusstseinszustand eines Patienten überprüft werden?
Wenn ein Patient also nicht in der Lage ist, sich überhaupt oder verständlich, verbal über seinen Zustand zu berichten, bietet die Neurologie eine Reihe von Möglichkeiten, um den Bewusstseinszustand zu messen und eine Diagnose zu stellen.
Meistens werden bildgebende Verfahren, wie das EEG und das fMRT, eingesetzt, um die Aktivität der einzelnen Hirnregionen zu messen. Ein weiteres wichtiges, standardisiertes Vorgehen zur Einordnung des Bewusstseinszustandes ist die revidierte Coma Recovery Scale (CRS-R). Diese Skala unterscheidet unter anderem auditive, visuelle und motorische Funktionen. Dem Patienten wird zum Beispiel ein lautes Geräusch direkt über dem Kopf, aber außerhalb des Sehfeldes präsentiert. Bei einem anderen Test wird starker Druck auf die Nagelbetten der Extremitäten ausgeübt. Anhand der Skala wird dann die Stärke der Reaktion auf die Reize anhand eines Punktesystems zugeordnet. Zum Schluss werden die Punkte aller Funktions-Skalen zu einer Gesamtpunktzahl aufsummiert. Diese Punktzahl liefert somit Hinweise darauf, wo sich der Patient auf der Skala von tiefstem Koma bis hin zu wach und voll kontaktfähig befindet.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Patient erholt und das Bewusstsein wiedererlangt?
Die CRS-R ist nicht nur für die Einordnung des Bewusstseinszustandes und für die Planung der weiteren Behandlung nützlich, sie hat auch einen prognostischer Wert und kann Hinweise zum weiteren Verlauf der Störung liefern. Grundsätzlich gilt, dass eine effektive und schnelle Behandlung zur Verbesserung des Zustandes wesentlich beiträgt, da sie verhindert, dass weiteres Gehirngewebe beschädigt wird. Dies setzt eine akkurate Diagnostik voraus. Aktuell werden allerdings noch 30 bis 40% Fehldiagnosen gestellt, die die Wahl der richtigen Therapie erschweren. Weiterhin sind die ersten Wochen nach der Hirnschädigung, hinsichtlich der Verbesserung des Zustandes, entscheidend. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass noch nach mehr als einem Jahr das Bewusstsein zurückerlangt werden kann.
Prinzipiell haben Patienten mit minimalen Bewusstseinszustand die besten Chancen sich teilweise oder ganz zu erholen. Die Chancen, dass sich der Zustand des Patienten verbessert, stehen bei traumatischen Ursachen bei knapp 50%. Der Hirntod ist hingegen irreversibel und auch beim Locked-In Syndrom ist nicht davon auszugehen, dass die Lähmungen zurückgehen. Die meisten Patienten überleben das erste Jahr nach der Hirnschädigung nicht, es gibt aber immer wieder „Wunderpatienten“, sogenannte Spontanerholungen, die die Wissenschaft dazu antreiben, weiter und intensiver zu der Diagnostik und den Behandlungsmöglichkeiten von Bewusstseinsstörungen zu forschen.
Bewusstseinsstörungen: Zusammenfassung
Zusammenfassend lassen sich das Koma, der vegetative Zustand, der minimale Bewusstseinszustand und Locked-In Syndrom als mögliche Folgen von Hirnschäden unterteilen. Die Lokalisierung der Läsion gibt nur bedingt Aufschluss über die zu erwartenden Folgen und den Bewusstseinszustand des Patienten. Bildgebende Messverfahren zeigen unter anderen die Aktivierung der Hirnareale, die Hinweise zum Bewusstseinszustand liefern können. Weiterhin werden standardisierte Verfahren, wie die CRS-R, zur Testung der Reflexe und des Bewusstseins der Patienten eingesetzt. Für eine Verbesserung des Zustandes sind vor allem schnell und effektiv eingesetzte Behandlungen entscheidend. Auch wenn die Forschung bereits viele Methoden zur Feststellung des Bewusstseinszustandes hervorgebracht hat, sind in diesem Bereich noch viele Untersuchungen und Erkenntnisse nötig, um Fehldiagnosen zu reduzieren und bessere Heilungschancen zu erreichen.
Mein Ziel ist es fachspezifisches Wissen alltagstauglich und damit anwendbar zu machen. Ich interessiere mich besonders für Neuropsychologie, psychologische Diagnostik sowie Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie.